Sonntag, 20. Februar 2011

Reisebericht special - Martin Luther King Jr.

Bevor ich mich über den großen schwarzen Bürgerrechtler verbreitern kann, sollte ich ein paar Dinge über mich sagen - Dinge, die ich zum Teil erst bei meinem Besuch an den verschiedenen Gedenkstätten so wiklich begriffen, verstanden und in Zusammenhang gebracht habe. Zehn Jahre, nachdem King erschossen worden war, wurde ich in eine Familie der unteren Mittelklasse geboren, in einer Gegend, in der wegen der Textilindustrie viele Gastarbeiter ansässig waren. Ja, damals hieß das noch so... In meiner Volksschulklasse waren einige "Türkenkinder" (auch das sagte man früher so), und an keines davon kann ich mich noch irgendwie erinnern. Meine Eltern haben mich zwar dazu erzogen, zu jedem Menschen, unabhängig von seiner Herkunft oder seiner ethnischen Zugehörigkeit, freundlich zu sein, aber rückblickend behaupte ich doch, dass meine Kindheit von einem gewissen Alltagsrassismus geprägt war. Insgeheim haben meine Eltern nämlich auf Zuwanderer herabgesehen, und ich kann mich an mehrere Gelegenheiten erinnern, bei denen abfällige Äußerungen über Türken oder Jugoslawen gemacht wurden. Afrika zum Beispiel kam nur als "Land" vor (ja, wurde mir als Land, nicht als Kontinent erklärt), in dem alle arm sind und stehlen, weil sie nichts zu essen haben. Ich bin mir sicher, dass meine Eltern sich gegen diese Aussage wehren würden, wenn sie die Gelegenheit dazu hätten, aber ich behaupte jetzt einfach, dass sie sich (und sozial gefestigte Österreicher) den Ausländern speziell und anderen Nationen generell weitgehend überlegen gefühlt haben.

So dankbar wie ich für einige Aspekte meiner Sozialisierung bin - das ist keiner davon. Als Teenager spätestens habe ich versucht zu ergründen, weswegen manche Menschen sich über andere erheben wollen, und weswegen wir nicht einfach alle gleich behandeln - so wie wir uns selber gerne behandelt sehen würden. Für mich waren Menschen einfach alle gleich, unabhängig von ihrem Hintergrund zählte für mich, was für einen Charakter jemand hatte. Das ist bis heute so, und ich denke, damit fahre ich recht gut. Ich weiß nicht, warum dieser Teil meiner Prägung keinen Eindruck hinterlassen hat bzw. zum Gegenteil geführt hat, aber ich bin dankbar dafür. Mein Leben ist durch meine offene Einstellung reicher, stelle ich mal in den Raum.

Spätestens im Oberstufen-Englisch-Unterricht wurde wohl fast jeder von uns mit Martin Luther King konfrontiert. Die berühmte "I have a dream"-Rede scheint irgendwie Pflichtstoff zu sein. Obwohl mir damals das Hintergrundwissen bis auf einige dürre Fakten vollkommen gefehlt hat, hat mich die Präsenz, das Charisma, der schiere Wille dieses Mannes da schon beeindruckt. Als ich im Reiseführer entdeckt habe, dass ich sowohl an seinem Geburtshaus als auch am Ort seiner Ermordung vorbeikommen würde, war klar, dass das als Pflichtpunkt auf die Liste kam.

King wurde 1929 in Atlantas schwarzem Stadtteil Sweet Auburn als Sohn eines Predigers geboren. Sein Geburtshaus, die ehemalige Nachbarschaft und die Kirche, in der sein Vater gepredigt hat, sind bis heute erhalten. In unmittelbarer Nähe befinden sich das vom National Park Service betriebene Museum sowie die Grabstätte von King und seiner ebenfalls in Bürgerrechten engagerten Frau Coretta. Im Museum läuft die berühmte Rede auf Bildschirmen - ich kann dem interessierten Leser nur eine Youtube-Version anbieten:

Wer dazu neigt, sich von seinen Gefühlen überwältigen zu lassen, ist mit einem Taschentuch gut beraten. Ganz ehrlich - ich schaff's nicht ohne, das geht mir nah.

Das Museum selber bereitet die Fakten und das vorhandene Material multimedial auf. Neben klassischen Infotafeln, Videos, Tonbändern und Ausstellungsstücken wird auch diese künstlerische Interpretation eines der bekannten Freiheitsmärsche gezeigt. Als der Bürgerrechtler sich in den 50er für die Gleichstellung zu engagieren begann, schwelte es ja bereits seit längerem im geteilten Amerika. Im Gegensatz zu kämpferischen Typen wie Malcolm X war der studierte Philosoph und ausgebildete Prediger King der Meinung, dass nur eine gewaltfreie Lösung von Dauer sein würde. Das Ehepaar hat zum Studium der nonviolent civil disobedience vier Wochen in Indien verbracht und sich mit den Lehren Gandhis vertraut gemacht. Bald konnte King seinem Beruf als Prediger kaum mehr nachkommen, da er durch ganz Amerika reiste und den friedlichen Protest gegen die Segregation unterstützte und mitorganisierte.

Bei einer dieser friedlichen Kundgebungen in Memphis geschah es dann - vor seinem Hotelzimmer wurde Martin Luther King, der schon lange bedroht worden war und sich sicher war, nicht alt zu werden, von einem weißen Fanatiker erschossen. Er wurde nur 39 Jahre alt und hat die endgültigen Früchte seiner Bemühungen nicht mehr miterlebt. Auf diesem schlichten Holzkarren wurde sein Sarg durch Atlanta geführt, bevor er in direkter Nähe zu "seiner" Kirche beigesetzt wurde.

Beim Verlassen des Museums trifft man nach viel schwarz-weiß (im mehrfachen Wortsinn) auf einmal auf bunte Farben. Die ganze Abgrenzung zum Nachbargrundstück, die mehrere dutzend Meter lang ist, ist mit Szenen aus dem Leben und Wirken Kings bemalt. Leider kann man aufgrund der Bäume, die da rumstehen, nur Ausschnitte fotografieren. Dieser hat etwas, das mich immer wieder trifft, wenn ich es sehe - ganz rechts ist ein Demonstrant zu sehen, der ein Schild "I AM A MAN" umhat. Unverständlich für mich, dass diese simple Tatsache so lange nicht anerkannt wurde und betont werden musste.

Die Auburn Avenue, an der Geburtshaus, Kirche, Museum und Grabstätte liegen (bei strömendem Regen - aber Wissensdurst trotzt auch drohender Überschwemmung des Schuhwerks). Die Feuerwehrwache an dieser Ecke, die innerhalb von wenigen Jahren von einem gehobenen Viertel für Weiße zu einem von Schwarzen dominierten wurde, soll die erste in Atlanta sein, die schwarze Feuerwehrhmänner akzeptiert hat.

Einige Schritte weiter befindet sich das Geburtshaus von Martin Luther King, das von einer über den Stufen eingelassenen Plakette (siehe oben rechts) gekennzeichnet wird. Das Haus wurde zwar zwischenzeitlich renoviert, befindet sich aber mehr oder weniger in dem Zustand, in dem es war, als es die Eltern besessen hatten. Auch daran ist ersichtlich, dass King nicht in schlechte Verhältnisse geboren wurde - und aus seinen guten Startbedingungen so unendlich viel für die schwarze Bevölkerung gemacht hat.

Der Blick von vor dem Haus Richtung Downtown, an der linken Ecke die Feuerwehrwache.

Das Doppelgrab des Ehepaares. Coretta Scott King hat nach dem viel zu frühen Ableben ihres Gatten seine Bestrebungen bis zu ihrem Tod 2006 weitergeführt. Seit 1986 gibt es den Martin Luther King Day als Feiertag in den USA, der erst an seinem Geburtstag begangen und später auf den dritten Montag im Jänner gelegt wurde. Da die Amerikaner mit Feiertagen eher geizen, ist das eine der höchsten Auszeichnungen, die man jemandem zukommen lassen kann.

Gegenüber dem Sarkophag befindet sich eine ewige Flamme, die daran erinnern will, dass wir immer noch jeden Tag daran arbeiten müssen, dass die Ideale, die King gepredigt hat, erreicht werden.

Die Kirche, der sowohl King Sr. als auch Dr. King Jr. vorstanden, war leider wegen Renovierungsarbeiten geschlossen. Soweit ich weiß, ist sie immer noch ihrem Bestimmungszweck gewidmet, wenngleich sie natürlich auch eine Art Touristenattraktion ist.

Ein paar Tage später war ich dann in Memphis, TN, wo nicht nur Elvis gelebt sondern auch Martin Luther King gestorben ist.

Das Lorraine Motel, früher wohl mal ein durchschnittlich gutes Haus, befindet sich heute in einer recht abgerissenen Gegend. Wäre es mir nicht so wichtig gewesen, diesen Ort und das hier befindliche Bürgerrechtsmuseum zu sehen, hätte ich den Spaziergang durch den Stadtteil nicht auf mich genommen...

Auf den ersten Blick wirkt das Ganze wie ein verlassenes, nicht mehr betriebenes Motel. Die Gedenktafel, die beiden Oldtimer hinter einer Mauer und ein weißer Kranz weisen darauf hin, dass hier nichts so ist, wie es scheint. Die Oldtimer sind im übrigen nicht die tatsächlichen Autos, die damals da standen, sondern nur baugleiche (und mitsamt der entsprechenden Hinweistafel von der Bank of Amerika gesponsort...).

King wurde, als er Zimmer 306 verlassen wollte, um zum Abendessen zu gehen, von einem Gebäude auf der gegenüberliegenden Straßenseite aus erschossen. Den Bau gibt es nicht mehr, wohl aber ein neues Gebäude, das einen Teil des Civil Rights Museums beherbergt. Dort kann man sich ansehen, wie das Badezimmer ausgesehen haben muss, aus dem der Schütze gefeuert hat, und mit welchen Methoden die Ermittler vorgegangen sind, um den Mörder zu kriegen.

Im Museum selber ist striktestes Fotoverbot, was sehr schade ist, denn die Geschichte der Bürgerrechtsbewegung, der Segregation, der Sklaverei ist sehr schön aufgegliedert und mit den verschiedensten Mitteln begrifflich gemacht. Das Gänsehaut-Highlight ist aber das ehemalige Zimmer 307: das wurde vollständig entfernt und die Wände durch Glas ersetzt. So kann man quasi durch Glas und Zeit sehen, wo King seine letzten Minuten verbracht hat.

Für mich waren die Besuche "beim" charismatischen Bürgerrechtler außerordentlich lehrreich und persönlichkeitsbildend. Hätte ich damals gelebt - ich kann nur hoffen, ich hätte die Courage und den Charakter gehabt, dieses Anliegen zu unterstützen. Wer mehr über diesen bemerkenswerten Mann erfahren will - der Wikipedia-Artikel ist gut und nennt genau die Fakten, die ich vor Ort ebenso erfahren habe.