Irgendwie ist aus diesem Posting beim Schreiben weniger ein Reisebericht über Nashville geworden, sondern mehr ein Einblick in mich. Irgendwie passt das, weil in dieser Reise viel von mir steckt - so viel, dass ich den Eindruck habe, nicht komplett zurückgekommen zu sein, sondern irgendwo am Weg etwas zurückgelassen zu haben. Wer sich also mehr für die Stadt interessiert, könnte dieses Mal eventuell enttäuscht werden. Nur so als Warnung...
Eigentlich bin ich ja nicht so der Fan von Country Music. Und seit ich in den Süden gelangt war, hatte ich doch die eine oder andere Chance, mich mit dem Genre anzufreunden. Zu gut Deutsch: Im Radio war nicht mehr viel anderes zu hören (außer christlichen Sendern, und die gehen für eine Atheistin wie mich noch viel weniger). Also habe ich bei meinem Besuch in Nashville auch einen Aufenthalt in der Country Music Hall of Fame eingeplant, in der Hoffnung, das Phänomen besser zu verstehen.
Das Gebäude ist ja architektonisch nicht uninteressant, die Front erinnert an ein Klavier. Die Erhebung links soll einen Radiosender nachahmen. Man kann viel über die Amerikaner sagen, aber das oft geäußerte Vorurteil, dass es ihnen an Kultur und Wissensvermittlung mangelt, ist einfach nicht zutreffend. So liebevoll gestaltete Museen aus den unterschiedlichsten Bereichen vermisse ich in Europa schon, wir sind hier irgendwie ernster, gesetzter, angestaubter. Sehr viele der von mir besuchten Ausstellungen sind nicht nur optisch sondern auch didaktisch gut aufgemacht, und auch wenn ich nicht überall gleich viel für mich mitnehme, so würde ich mir doch wünschen, dass etwas mehr von dieser Museumskultur "in der alten Welt" Einzug hält.
Vor dem Museum ist mir dann noch diese Straßenlampe mit einem stilisierten Plektrum aufgefallen. Überhaupt ist Nashville generell sehr auf Musik eingestellt (Überraschung! *gg*). Da kann es einem an der Ampel schon mal passieren, dass Musik aus einem Kasten dringt, der am Pfosten befestigt ist. Ich gestehe, im ersten Moment war ich etwas verwirrt ob der Beschallung. Verkehrssicher ist wohl auch anders. Aber wer wird denn kritisch sein?
Also erst mal rein ins Museum und den recht happigen Eintrittspreis von 20$ löhnen. Die Gestaltung will ja auch irgendwie bezahlt werden... Wenn man den Anweisungen folgt, dann kommt man als erstes in eine Sondernausstellung zu einer kürzlich verstorbenen Country-Größe, deren Namen ich wieder vergessen habe (vermutlich, weil er mir auch vorher nichts gesagt hat), von deren Songs ich aber einige kannte. Und Musik war mir immer schon wichtiger als die Interpreten *rausred* ;) Unter anderem konnte man in dieser Ausstellung die Garderobe bewundern. Und "bewundern" ist da neben "bestaunen" oder "überwältigt werden" eines der wenigen gültigen Wörter. Wahnsinn, was für Kleider diese Country-Sache erfordert... Die Pailletten-Glitzer-Plastikstein-Industrie hätte sicher nur einen verschwindend geringen Bruchteil des Umsatzes, wenn es diese Art von Musik und Auftritten nicht gäbe.
Wie auch bei den Kollegen in Macon (und wohl jeder Hall of Fame in den USA) gibt es jährlich ein paar Inductees. Auch mit Rang und Namen kann man einige Zeit drauf warten, an diese Institution was spenden zu dürfen, das dann groß ausgestellt wird. Hier einige Dinge, das ich als recht typisch erachte: Funkelkostüme, Cowboyhut, Gitarre - damit hamma dann schon jemanden ausstaffiert.
Wie man dieser Wand sieht, die nur einen kleinen Teil der ausgestellten goldenen und platinenen Schallplatten zeigt, ist Country auch wahnsinnig erfolgreich. Nur weil bei uns die Songs über Alltagsprobleme, Ehebruch und ähnliche Schwierigkeiten wenig Anklang finden (und wir unsere eigene Volksmusik/Schlager haben), heißt das nicht, dass sie nicht grad im Süden einen Nerv treffen. Ja, sowohl die Musik selber als auch die Texte sind eher auf der simplen Seite, aber wer sagt denn, dass Musik und Kunst immer überkandidelt sein muss? Und ganz ehrlich: Wenn ich die Wahl zwischen Country und Hitparade 2011 hab, dann hör ich extrem freiwillig Country, auch wenn ich das Ganze mit der Zeit etwas repetitiv finde.
Die große Halle mit den Inductees. Sie befindet sich im runden Teil des Gebäudes, den ich auf dem obigen Bild als Radiostations-ähnlich kommentiert habe. Die Wände sind alle so gestaltet, es gibt nur einen schmalen Durchgang für die Besucher. Die Gestaltung gefällt mir mit den stilisierten Notenlinien, obwohl runde Plaketten noch schöner gewesen wären in meinen Augen. Nein, ich hab nicht versucht, das abzusingen. Aber bei Singen vom Notenblatt war ich immer schon eher schlecht.
Wieder draußen an der frischen Luft habe ich mich Dingen zugewandt, die ich besser verstehe als Country - alte Bausubstanz trifft moderne Stadt. Ich bin ja ein Fan dieser Gegensätze, ich mag Spannungsfelder. Klar gefällt es mir auch, wenn die historischen Häuser ganz unter sich bleiben können und nur Straßen und Infrastruktur zeigen, dass ich keine Zeitreise gemacht habe. Aber auch das Moderne sagt mir in vielen seiner Ausprägungen zu, wobei ich Gegenden, die nur aus Wolkenkratzern und Glasflächen bestehen, schon irgendwie seelenlos finde. To make a long story short: ich fand Downtown Nashville ganz nett.
Sowohl auf diesem Bild als auch auf dem drüber ist der Broadway zu sehen, die Straße, in der sich in Nashville das Nachtleben abspielt. Es gibt viele Lokale von denen einige auch Live-Musik anbieten. Auch wenn's auf den Bildern trüb aussieht (blame the weather!), kann ich mir schon vorstellen, wie hier die Post abgeht.
Und plötzlich kam doch die Sonne raus und hat die Fassade des Broadway und den sich dahinter erhebenden Wolkenkratzer in tolles Licht getaucht. Das Ding im Hintergrund hat von mir den Spitznamen "stunner building" erhalten, weil mich die beiden Spitzen an einen Elektroschocker (stun gun) erinnern. Irgendwie bin ich mir nicht sicher, ob ich meine Assoziationsgabe toll finden sollte oder sie gemeinsam mit meiner Benamserei langsam Anlass zur Sorge gibt...
Das Spannungsfeld zwischen Alt und Neu setzt sich in der gesamten Innenstadt fort. Das Gebäude rechts im Bild hat "Flatiron"-Qualitäten. Die Ausnutzung der Parzelle treibt ja manchmal etwas seltsame Blüten. Ich tu mir schwer dabei mir vorzustellen, wie man den Platz in der ausgeprägten Spitze nutzt (geht wirklich auf 0 zusammen, an der Kante kann man sich quasi den Finger schneiden, nicht wie in NYC, wo die schmalste Stelle immer noch über 1,5 m breit ist), aber ich geh mal davon aus, dass sich irgendwer irgendwas dabei gedacht hat. Und die Kirche ist auch hübsch. Obwohl Religiosität im Süden einen noch höheren Stellenwert hat als sonst in den USA, hat Nashville für meine Begriffe eher wenig Kirchen. "Am Land" kann es einem schon passieren, dass entlang von 2 Straßenkilometern 10, 15 religiöse Versammlungsstätten verschiedener Ausprägungen stehen...
Was ist an einer Parkuhr so besonders? In diesem Fall die Tatsache, dass es sich nicht um ein Instrument zur Standplatzobulusabgabe handelt, sondern dass Münzen, die man hier reinwirft, Obdachlosen zugute kommen. Finde ich eine nette Idee, und obwohl ich bereits am Broadway einem Obdachlosen, der sehr liebevoll mit seinem Hund umgegangen ist, ein paar Dollar zugesteckt hatte, habe ich diese Idee noch mal mit etwas Kleingeld versorgt. Wenn man durch die Außenbezirke von Nashville fährt, dann sieht man durchaus auch sehr ärmliche Gegenden. Irgendwie schockiert mich im Süden schon dieser abrupte Wechsel von blühender Innenstadt zu Beinaheverfall. Aber solche Dingen zeigen mir auch, wie absolut fantastisch es mir geht und wie glücklich ich mich schätzen darf, dass ich mir sowas ansehen kann, es mir leisten kann, wochenlang in fernen Gefilden rumzuschweifen und mir ein paar Cent für andere kein bisschen weh tun. Ja, Reisen bildet. Verstand und Charakter.
Profitipp: Bild anklicken zum Vergrößern ;) Eine meiner liebsten Ansichten, auch wenn man auf dem kleinen Bild wohl schwer erkennen kann, warum: Am Ende der Häuserschlucht, vor dem Wolkenkratzer, steht ein kleines Gebäude im Greek Revival Style, das von reflektiertem Licht gesprenkelt wird. Irgendeine Regierungssache, ganz bestimmt, schließlich ist Nashville nicht nur Hauptstadt des Country, sondern auch des Bundesstaates Tennessee.
Wir haben immer noch Mitte November (also auf dem Bild, nicht laut Kalender :p), aber es war warm, angenehm und immer noch irgendwie frühherbstlich. Für Laubfarben bin ich ja auch immer zu begeistern. Wenn ich so zurückblicke, dann habe ich das Wetter besser in Erinnerung als es streckenweise war. In meinem Kopf gab's nur zwei Regentage - Philadelphia Tag 1 und die Flut von Chattanooga. Der Rest ist in meiner Erinnerung schön. Was nicht stimmt - es war öfter mal trüb, bewölkt, sogar etwas nebelig. Geregnet hat es auch an mehr als den zwei Tagen. Aber der Kopf ist ja gnädig. Und ich hatte zum Teil auch fantastische Bedingungen mit über 20 Grad und Sonnenschein. Damit hätte ich im November eigentlich nicht gerechnet, auch nicht so weit südlich.
Multiple Spannungsfelder: alt gegen neu, Kirche (Vordergrund) gegen Staat (Hintergrund, State Capitol).
Mit viel Geschichte ging es im Tennessee State Museum weiter. Bis dahin hatte ich ja hauptsächlich Küstenstaaten bereist, und die sind wegen ihrer Lage "begünstigt", was schnelle Besiedlung anlangt. Im Landesinneren sieht die Sache aber schon wieder etwas anders aus, und das Museum hat dazu interessante Gesichtspunkte geboten. So wie diesen Wagen zum Beispiel, in dem Hab und Gut der Siedler transportiert wurde. Auf der weißen Tafel ganz rechts sind kindgerecht Gegenstände abgebildet und es wird erläutert, warum oder warum nicht diese Dinge in den Wagen gehören. Auch für mich als Erwachsene war das interessant, obwohl ich natürlich wusste, dass es unheimlich schwer gewesen sein muss, sich dieses Land zueigen zu machen. Durch die Austellung hat dieses Wissen eine neue Dimension erlangt.
Das Museum geht drei Stockwerke in die Tiefe (auch ein Novum für mich, üblicherweise bauen Museen nach oben) und zeigt eine große Bandbreite an Exponaten, Themen und Blickwinkeln. Hier sieht man Möbel aus unterschiedlichen Perioden, mit Erklärungen, wie diese gefertigt wurden, woher die Inspirationen für die Gestaltung kamen, wie sie gekennzeichnet wurden und vieles mehr. Innerhalb weniger Jahre haben es die Siedler jeweils geschafft, aus einfachen Hütten, die beim Vorstoß rasch gebaut wurden, in prachtvolle Häuser umzuziehen und sich diese entweder vor Ort ausstaffieren zu lassen oder aber auch aus den Küstenstädten oder gar Europa Einrichtungsgegenstände, Geschirr, Stoff und ähnliches zur Ausstattung zu ordern.
Vor Ort wurden Quilts gefertigt. Diese Beschäftigung für die Damen hat die unterschiedlichsten Muster hervorgebracht. Ich wäre wohl zu ungeduldig für sowas, ich würde ein paar Quadrate aneinandernähen und gut isses. Aber zum Glück haben manche Frauen die Energie und Detailliebe für sowas, denn hübscher ist es ja schon...
Vor der "Fassade" einer kleinen alten Südstaatenstadt steht dieser alte Spritzenwagen einer Feuerwehr, der damals noch von Pferden gezogen wurde. Damals, als noch viel mit Holz gebaut wurde, kam der Feuerwehr eine ganz besondere Rolle zu, denn schon ein kleines Hausfeuer konnte eine ganze Stadt vernichten, wenn ihm nicht rechtzeitig Einhalt geboten wurde. Hinter der Fassade gab es jeweils themenbezogene Ausstellungsräume - war die Front ein Waffengeschäft, so wurden Gewehre ausgestellt, war sie ein Haushaltsbedarf, sah man Silberbesteck und Geschirr. Einfach schön gemacht.
Mit dieser architektonischen Kuriosität möchte ich meinen Besuch in Nashville bildtechnisch abschließen. Das fantastische Licht, das ich kurz vor der Rückkehr zum Auto noch einfangen konnte, ist im entsprechenden Posting dokumentiert.
Für's Nightlife blieb mal wieder keine Zeit, das nächste Hotel stand in Memphis, und die Fahrt dorthin nahm einige Zeit in Anspruch. Das ist der Nachteil meiner weitschweifenden Art zu reisen, und ja, oft wünsche ich mir, länger an einem Ort bleiben zu können. Im Endeffekt überwiegt aber der Wunsch, so viel wie möglich zu sehen und ich bin ja auch zuhause keine Weggeherin, warum sollte ich es in der Fremde werden? Offen gestanden bin ich an den Abenden meist auch ziemlich erledigt. Ich erlebe tagsüber so viel, es ist ein bisschen wie konstante Gänge zu einem Buffet - ich futter mich mental durch Sehenswürdigkeiten, Museen, Stadtansichten. Es ist entspannend, einerseits, ich empfinde es nicht als Aufgabe oder Arbeit oder habe das Gefühl, meinen Plan abarbeiten zu müssen, sondern ich genieße die vielen Eindrücke. Andererseits ist es bis zu einem gewissen Grad erschöpfend, wenn auch auf positive Weise. Dennoch bleibt am Ende des Tages kein Platz mehr für das reichhaltige Dessert, das ein Zug durch Lokale und Bars darstellen würde. Verpasse ich etwas? Vermutlich. Andererseits war ich auch in den Staaten schon abends weg, und ich denke nicht, dass sich da ein Ort so gravierend vom nächsten unterschiede, dass ich große Lücken hätte. Auch wenn grad Nashville oder Memphis oder New Orleans hier sicher tolle Erlebnisse böten. Im Endeffekt ist mir der Tag wichtiger, jene Dinge, die sich auftun, wenn ich durch eine Stadt schweife und Läden, Sehenswürdigkeiten, Museen offen haben. Das ist mehr ich, das ist mehr, was mich interessiert. Deswegen bereue ich auch nicht, wie ich meine Reise gestaltet habe, sondern hoffe, dass sich irgendwann mal wieder die Gelegenheit ergibt, dann mit etwas mehr Zeit und somit der Möglichkeit für einen Abend auf einem der "Highways für Abendgestaltung".