Bevor ich Euch auf meinen Trip mitnehme, möchte ich Euch einen Eindruck vermitteln, WAS die Route 66 ist. Wer denkt, dass das für ihn eh klar ist, darf diese Einleitung gerne überspringen und zu den Bildern vorrücken. Aber ich dachte als Teenager auch, dass ich es wüsste. Mit 16 oder 17 habe ich nämlich für den Englisch-Unterricht ein Referat über die "Mother Road" gehalten. Ich fand das Thema faszinierend und damals hat sich die Idee in mir festgesetzt, die Reise eines Tages selber machen zu wollen.
Als ich dann den Flug nach Chicago gebucht und mir Reiseführer besorgt habe, war ich der Meinung, ich wüsste schon ganz gut, was mich erwartet. So ein bisschen Basiswissen hatte ich ja doch:
Eine durchgehende Straße von Chicago nach LA, ca. 2500 Meilen/4000 Kilometer lang, 1926 in Betrieb genommen als erste große "Überlandstraße". Führt durch 8 Bundesstaaten und 3 Zeitzonen, verbindet die Großen Seen mit dem Pazifik. Trockene Fakten halt. Während Faktenwissen zwar als Wissen gilt, erzählt es nicht die ganze Wahrheit.
Dieser kam ich näher, als ich mich in meine Reiseführer vertiefte. Den zur Route 66 habe ich sogar aus den USA bestellt, weil man hier nichts dazu bekommt. Hat mich ehrlich gesagt gewundert, denn nicht nur in Amerika ist diese Straße eines der Synonyme für Freiheit. Trotzdem fand ich keinen ihr gewidmeten deutschen Reiseführer, in meinen diversen Regionalführern war sie nur eine Randerscheinung. Ich vertiefte mich in Webseiten, Artikel, Erfahrungsberichte und ähnliches, um ein Gefühl dafür zu kriegen, worauf ich mich hier einlasse.
Bald war mir eines klar: es gibt sie nicht, DIE Route 66. Wie jetzt?!? Klingt seltsam, ist aber so. Die "Main Street of America" war in stetem Fluss, ständig wurde an irgendeiner Stelle eine Veränderung in der Streckenführung vorgenommen. Manche davon waren klein, ein Stadtzentrum wurde umgangen oder eine direktere Verbindung zwischen zwei Punkten gebaut. Andere davon waren riesig, zum Beispiel als der Schlenker über die Stadt Santa Fe durch eine Gerade ersetzt wurde. An manchen Stellen gibt es mehrere Straßen, die sich Teil der Route 66 nennen dürfen.
Heute ist es also einerseits nicht mehr möglich, die gesamte Route 66 vom Ufer des Lake Michigan bis zur Pazifikküste durchzufahren, und andererseits kann man auch auf den immer noch existenten Teilstücken an vielen Orten mehrere Varianten wählen. Nicht nur, weil sie 1985 außer Dienst gestellt und ihre Schilder abmontiert wurden, gibt es sie nicht mehr, die Route 66.
Angefangen hat dieses Stück amerikanischer Geschichte 1926. Nicht als geplanter Highway, sondern als Markierung entlang existierender Straßen, die ihrerseits zum Teil auf alte Indianer-Trails aufgebaut haben. Durch die Kennzeichnung wussten Reisende zumindest, wo sie langfuhren. Zum Teil waren die "Straßen" nur Spuren im Dreck, die anzeigten, wo immer wieder jemand entlang fuhr. Keine Rede war von mehrspurig, von asphaltiert, von sicher. Erst 1938 wurde das letzte Teilstück mit Belag versehen. Aber auch dann war die Route 66 nur eine Streckenführung über Land, durch Dörfer und Städte, die zu befahren eine Woche oder mehr in Anspruch nahm und nichts mit der Idee von Freiheit und Cruisen zu tun hatte, die wir heute damit verbinden. Erst in den folgenden Jahren baute sich die Infrastruktur für die Reisenden durchgängig auf, gab es überall Motels und andere Annehmlichkeiten. Damit begann dann auch der Mythos, formte sich das Bild, das wir heute haben.
Nach dem 2. Weltkrieg gab es einen Boom beim Bau von Interstates, die im Gegensatz zur Route 66 kreuzungsfrei sind. Die 66 war zwar ein Highway, aber das ist nur die Bezeichnung für eine übergeordnete Straße, die durchaus auch Ampeln, Kreuzungen und andere abenteuerliche Dinge aufzweisen kann. The Main Street of America verlor zusehends an Bedeutung, bis 1985 die endgültige Dezertifizierung erfolgte, mit der auch die Demontage der Schilder einherging.
Die meisten Teilstücke der Route 66 sind heute Teil des gut ausgebauten Straßensystems der USA. Manche sind die Hauptstraße des Ortes, durch den sie führen. In Städten ist aus der Route 66 oft ein Business Loop geworden, eine höherrangige Straße an der sich viel vom Geschäftsleben abspielt. Andere sind idyllische Landstraßen, die den Namen "Scenic Byway" tragen. Mancherorts ist die Route 66 die "frontage road" zur Autobahn - eine schmale Straße, die parallel zur Interstate verläuft. Ein paar Teile sind sogar im Autobahn-System aufgegangen: es brauchte mehrere Interstates, um die Route 66 zu ersetzen, und da und dort wurde die existierende Straße als eine der Richtungsfahrbahnen benutzt.
Die Tatsache, dass wir auch heute noch "Trips über die (Fragmente der) Route 66" machen können, verdanken wir verschiedenen Organisationen, die sich dafür einsetzten, den ehemaligen Verlauf zu kennzeichnen und damit dafür sorgten, dass die Mother Road nicht aus den Köpfen der Menschen verschwand. "Route 66" ist heute also nicht mehr die Bezeichnung für eine Straße, sondern der Name einer Summe von Vorstellungen und Erinnerungen. Für mich ist es der Überbegriff, der eines der wunderbarsten Erlebnisse meines Lebens zusammenfasst: Eine Reise, die ich mir so nicht hätte erträumen können.
Beginn der Route 66 in Chicago, Adams Street Ecke Michigan Avenue aka Magnificent Mile. Leider kann ich hier nur mit einem Google-Streetview-Bild dienen, da ich aus einem für mich nicht nachvollziehbaren Grund dieses Schild nicht fotografiert habe, obwohl ich sowohl daran vorbeigegangen als auch vorbeigefahren bin. Da es sich hier um eine Einbahnstraße handelt, ist das "Ende" der Route 66 in der südlichen Parallelstraße, dem Jackson Boulevard zu finden.
So ist der Streckenverlauf mittlerweile gekennzeichnet. Braune Schilder werden üblicherweise für die Markierung von Sehenswürdigkeiten verwendet, so habe ich das im gesamten Land schon gesehen. Der Einsatz für Straßenmarkierung war mir neu, aber ich fand diese Schilder sehr hilfreich, wenn ich mit meinem Packen Papier an die Grenzen gestoßen bin oder mich einfach treiben habe lassen.
Jeder der 8 Staaten, durch die die Route 66 führte, hat solche Schilder, in denen der Name des Staats über der Streckenbezeichnung steht. Die Kennzeichnung des Bundesstaats, in dem man sich befindet, über die Straßenschilder ist nichts ungewöhnliches: Auch auf den Interstates gibt es immer wieder Schilder, die den Umriss des Bundesstaates zeigen und auf diesem dann die Nummer der gerade befahrenen Straße. Mehr noch gilt dieses System für kleinere, regionalere Straßen.
Einer der vorher genannten Byways - kann als Alternativroute zur Internstate verwendet werden.
Sehr selten nur noch, und definitiv nicht original, sondern in den letzten Jahren aufgebracht, gibt es diese Art von Kennzeichnung auf dem Asphalt. Hierbei handelt es sich um eine originale Streckenführung, nur unweit von hier gibt es ein aufgegebenes, überwuchertes Teilstück. Als immer und immer wieder umdisponiert wurde, waren manche Streckenführungen nicht mehr mal als lokale Straße interessant.
In Kansas gibt es gerade mal 20 Kilometer der legendären Straße. Für mich war es wohl der interessanteste Abschnitt, weil im tief-ländlichen Bereich sich sehr wenig verändert hat und hier das ursprüngliche Gefühl am ehesten spürbar war. Aber sogar hier gab es mehrere Streckenführungen, auch hier hatte sich etwas verändert im Laufe der Zeit. Als dann die Interstate 44 südlich an diesen Städtchen vorbeiführte und Kansas nicht einmal mehr schnitt, fiel hier alles in einen Dornröschenschlaf zurück.
Auf einem aufgelassenen Teilstück führt eine Brücke über ein sumpfiges Gebiet - dort gibt es diese Kennzeichnung. Die Alternativroute in Sichtweite ist ohne Brücke ausgeführt, die alte Brücke durfte als Marker einer lang vergangenen Zeit stehenbleiben.
Seltsam platziertes Stoppschild in einem kleinen Ort direkt nach der Grenze zu Kansas in Oklahoma. Ich glaube, die wollen ja nur, dass man ihren sogar mit Städtenamen ausgestatteten Marker bewundert ;-)
An manchen Stellen ist sogar gekennzeichnet, von wann bis wann die Route 66 über eine bestimmte Stelle geführt wurde. Hier wurde recht bald eine Optimierung gesucht, wie man sieht.
Auch auf der Autobahn findet man Hinweise auf die ehemalige "Hauptstraße". Hier läuft die Interstate 40 über die ehemalige Route 66. Oft findet man auch Hinweise an Ausfahrten, die den Reisenden dann auf interessante Streckenabschnitte führen.
Texas ist anders - hier werden grüne Schilder zur Kennzeichnung verwendet. Der Aufkleber rechts unten ist natürlich nicht Standard, aber den hab ich damals irgendwie nicht gesehen beim Knipsen...
Neeeeein, noch sind wir nicht am Ende angelangt, wir sind immer noch in Bundesstaat Nummer 5, Texas. Hier wurde eine Streckenführung aufgegeben, daneben dafür eine Art kleines Museum aufgebaut. Ich sag's Euch, das war wie im Nirgendwo dort. So kurz vor dem Ende der Welt, grad, dass man nicht über den Rand der Scheibe kullert....
This sign is a lie! Behaupte ich jetzt mal. Ja, irgendwo ist die Mitte. Aber durch die ständigen Verschiebungen war auch die Mitte ein fließendes Konzept. Aber man muss wohl nur stur sein, dann glaub einem jeder die Sache mit der halben Strecke. Ich übrigens auch, das Mittagessen habe ich im nahegelegenen Midpoint Café eingenommen.
Als ich danach weiterfahren wollte, war mir dieses Schildergewirr irgendwie nicht so wahnsinnig behilflich... Das grüne Schild mit "40" kennzeichnet übrigens einen der angesprochenen Business-Loops und wie man hier sieht, war das mal Teil der Route 66.
Die Schilder variieren auch ein bisschen von Staat zu Staat, nicht überall werden dieselben Schriftarten genutzt. Durch New Mexiko verläuft übrigens mit fast 500 Meilen das längste Teilstück, was nicht zuletzt an dem vorher angesprochenen Schlenker über Santa Fe liegt.
Etwas schwer zu erkennen - neben der Straßenbezeichnung wird angezeigt, wo früher die Route 66 verlief. Zusammengefasst: überall.
In Flagstaff, Arizona, hat mich das Wetterglück etwas verlassen. Zum Glück machen die hier Doppel-Auszeichnung, wer weiß, ob ich den Weg sonst gefunden hätte ;-)
Vielleicht mussten die auch nur ihr Budget für Straßenschilder aufbrauchen?? Die Mehrfachkennzeichnung ist definitiv nicht Standard, im Gegenteil, oft bin ich kilometerweit gefahren, ohne auch nur einen Hinweis zu bekommen, ob ich eh noch richtig bin.
Hier, in Kingman, Arizona, nahm die Revitalisierung der Route 66 ihren Anfang. Einige Meilen vorher, in Seligman, kann man auf einen alten Streckenabschnitt abbiegen, der heute quasi durch die Einöde führt. Als moderner Mensch ist man ja gewohnt, dass man jederzeit überall eine Tankstelle oder eine Einkaufsmöglichkeit hat - weit gefehlt. Ich bin mir sicher, dass das die Wahrheit auf der ursprünglichen Route 66 ganz gut darstellt.
Gelobtes Land Kalifornien. Auch hier wurde mehr als einmal umdisponiert, was die Streckenführung anging, wobei ich bei der Straßendichte in LA vermute, dass es eigentlich egal war...
Nach einem Abstecher nach Las Vegas (liegt nicht an der Route 66) bin ich nach 10 Tagen am Ende der Route 66 angelangt (auch wenn dieser Marker am Pier ca. 1 km südwestlich des tatsächlichen Endes steht). Mit gemischten Gefühlen stand ich dann also am Pazifik: ich hatte es geschafft, aber es war auch vorbei. Ich hatte so viel erlebt und doch das Gefühl, auch viel verpasst zu haben. Ich war glücklich und traurig zugleich, ein bisschen überwältigt und definitiv sehnsüchtig. Ganz, ganz seltsam.
Noch während der Reise war mir klar: Das muss ich noch einmal machen. Eine Flut von Eindrücken ist auf mich eingeströmt und hat mich fast mitgerissen. Es war einfach zu viel, um es in einem Aufwasch zu verarbeiten. Auch habe ich ein Teilstück ausgelassen - jenes von Kingman nach San Bernhardino, weil ich ja Las Vegas besuchen wollte (was ich mir sparen hätte können). Für einen ersten Eindruck war das auf alle Fälle toll, aber ich denke, trotz allem, was ich gesehen habe und prinzipiell weiß, konnte ich immer noch nicht zur Gänze erfassen, was für eine Bedeutung die Straße eigentlich hat. Zum Teil ist das mit Sicherheit meiner "modernen" Perspektive geschuldet, aber anderer Teil hat sicher etwas mit Immersion zu tun. Und das geht halt nur, wenn man sich Zeit nimmt... Mal sehen, wann ich das wieder tun kann :-)