Sonntag, 31. Juli 2011

Reisebericht Fredericksburg, VA - 30.03.2011

Der erste Urlaubstag außerhalb von den Großstädten Washington DC und New York City führte uns ins historische Fredericksburg. 1671 fand die erste Inbesitznahme des Gebiets statt, 1676 wurde hier ein Fort gegründen. 1728 schließlich wurde die Stadt gegründet, die heute etwa 25000 Einwohner zählt. Änlich wie Williamsburg, wo ich im November 2010 war, versucht Fredericksburg sein historisches Erbe zu bewahren - und davon gibt es reichlich. Der geneigte Tourist darf viele der alten Gebäude sogar betreten, wovon wir natürlich gerne Gebrauch gemacht haben.

Der Trip begann bei der Tourismus-Information, wo wir uns unsere Eintrittskarte in die Geschichte abgeholt haben. Wäre die Straße hier nicht alsphaltiert, könnte man doch glatt den Eindruck haben, ein paar hundert Jahre früher hier zu stehen. Die Mülltonne in Fassform trägt nicht unerheblich dazu bei ;) Nachdem wir unsere Tickets und einen Stadtplan hatten, haben wir uns in einem putzigen kleinen Café gestärkt, bevor wir durch die trüben Straßen gelaufen sind, um uns unsere Geschichtsdröhnung abzuholen.

Meine Güte, wär es hier nicht kleinstädtisch-nett, wenn das Wetter etwas schöner wäre. Und ruhig ist es - man kann mitten auf der Straße stehen für Bilder. Fast etwas gespenstisch.

Eine der Spezialitäten von Fredricksburg sind Antiquitäten, es gibt einige Läden, die alte Sachen verkaufen, so wie im roten Gebäude links. Leider war nicht geöffnet, die Stadt schien noch zu schlafen.

Irgendwie charmant, aber Frühstück hatten wir grad erst und fürs Mittagessen war's noch zu früh.

Auch hier hätte sich ein Einkehrschwung eigentlich empfohlen: in diesem klerikal anmutenden Gebäude befindet sich eine Bäckerei. Ich kann mir hier einen Serienschauplatz sehr gut vorstellen *grübel*

Der erste Indoor-Stop führte uns zu Hugh Mercer's Apothecary, der örtlichen Apotheke und Arztpraxis. Ja, die Flagge gehört so, damals, als Virginia noch Kolonie war, flaggte da natürlich noch kein Star Spangled Banner.

Das Innere behauptet, original und authentisch zu sein. In Ermangelung von unauffällig zu nehmenden Proben für eine C14-Datierung, habe ich der Führerin einfach mal geglaubt ;) Wie so oft bei historischen Sehenswürdigkeiten wurde auch hier versucht mittels Schauspielern ein Gefühl für die damalige Zeit zu vermitteln. Die etwas korpulente ältere Dame, die für die Vorführung der verschiedenen Mittelchen auf der Theke verantwortlich war, hat sich in ihrer Rolle sehr wohl gefühlt. Fast kommt beim Besucher ein leichtes Schuldgefühl auf, wenn er keines der Zipperlein hat, für die hier Kräutlein bereitstehen.

Gleich neben dem Verkaufsraum ist der ehemalige Behandlungsraum, wo eine weitere Schauspielerin - die die Abwesenheit des guten Doktors außerordentlich bedauert hat - die damaligen Heilmethoden demonstriert hat. Ein Hoch auf die moderne Medizin! Alles in allem war es sehr interessant und aufschlussreich zu sehen, wie gewisse Dinge vor bald 250 Jahren abgelaufen sind. Der Arzt und Apotheker hat in diesem Haus auch gewohnt, auch das Obergeschoss war zu besichtigen. Leider hat mich da meine Kamera etwas im Stich gelassen und keines der Bilder ist scharf. Er hat auf alle Fälle recht luxuriös gelebt für die damalige Zeit.

Bild bei Annette ausgeborgt - DANKE!
Weiter ging es zur Rising Sun Tavern, einem frühen "Luxushotel". Das Haus gehörte ursprünglich Charles Washington, dem jüngsten Bruder von George Washington, bevor es 1792 in eine Herberge umgewandelt wurde. Leider waren keine Fotos vom Inneren erlaubt, weshalb ich nur schriftlich ein paar Eindrücke vermitteln kann: Das Haus besteht aus drei oder vier Gästezimmern im Obergeschoss sowie einem Esszimmer, einem Kaminzimmer und einem Büro im Erdgeschoss. Die Kosten für eine Übernachtung betrugen auf heutige Preise umgerechnet etwa 250 $ (175 Euro). Dafür bekam man aber nicht etwa ein Einzelzimmer mit Bad und WC, sondern einen Sitzplatz in einem Bett, das mit etwa fünf weiteren Personen geteilt werden musste. Schlafen im Sitzen war damals normal. Nicht normal hingegen war Baden - generell wurde nur einmal im Jahr gebadet, in den Sommermonaten. Wie es also in so einem Zimmer gerochen haben mag - ich denke, wir wollen es nicht wissen, oder? Da es eines der wenigen hochgestellten Häuser war, konnten auch Damen hier absteigen, ohne um ihren Ruf fürchten zu müssen. Ehepaare haben nicht gemeinsam übernachtet, sondern wurden nach Geschlecht getrennt untergebracht. Generell war es sehr interessant zu sehen, wie das Herbergswesen früher aussah - da wusste ich mein Motelzimmer gleich wieder SEHR zu schätzen.

Weiter ging es durch das kleine Städtchen, das mit einem ganzen Sammelsurium an Kirchen zu glänzen weiß. Zu den beiden auf diesem Bild gesellt sich noch eine hinter mir...

... und die hier, ein paar Ecken weiter, sogar mit angeschlossenem Friedhof.

Dieses Bild allerdings entstand ein paar Ecken weiter auf einem Masonic Cemetary, also einem Freimaurerfriedhof, worauf der kleine Zirkel hinweist.

Fredericksburg hat nicht nur eine starke Washington-Connection, sondern auch der fünfte Präsident der USA, James Monroe, war hier mal zuhause. Ein Grundstück mitten in der Stadt hat einmal ihm gehört, er hat dort sein Rechtsanwaltsbüro gehabt. Das Gebäude, das heute darauf steht, hat sich im Rahmen einer historischen Ermittlung als zu jung erwiesen, als dass es zu Monroes Zeiten schon gestanden haben kann. Es beherbergt aber trotzdem ein Museum und eine Bibliothek zu Ehren des ehemaligen Präsidenten. Der Streifzug durch das Leben dieses Mannes war ebenfalls interessant, mehr haben mich aber dennoch Washington und Jefferson beeindruckt.

Dieses Haus war das Heim von Mary Ball Washington, der Mutter von George Washington. Er kaufte es 1772 und wirkte scheinbar selber an den Umbauten mit. Es liegt in der Nähe der Rising Sun Tavern, wo ja früher der jüngste Sohn der Präsidentenmutter wohnte, und Kenmore (siehe unten). Auch hier gab es eine Tour durch Schauspielerinnen, die einen guten Eindruck des damaligen Lebens vermittelten. Unter anderem habe ich hier gelernt, dass früher so viele Tischdecken aufgelegt wurden, wie es Gänge gab. Nach jedem Gang wurde das oberste Tischtuch entfernt, da die Gäste es auch anstatt Servietten zum Abwischen von Händen und Mund verwendet haben. Das Dessert wurde dann auf dem blanken Tisch serviert. Das Haus war für damalige Verhältnisse sehr großzügig, mit einer Küche im Hof und einem Aborthäuschem im Garten. Vom Garten aus gab es einen Pfad, auf dem Mary Washington die wenigen 100 Meter gehen konnte...

... die ihr Haus vom Heim ihrer Tochter Betty trennten: Kenmore. In diesem schönen, nach allen Regeln des damaligen guten Geschmacks ausgestatteten Haus lebte die älteste Schwester von George Washington mit ihrem Gatten Fielding Lewis. In liebevoller Detailarbeit zur damaligen Erscheinung restauriert, findet der Besucher heute gelbe und blaue Wände und wunderschöne Stuckdecken, die von einem Arbeiter (oder Sklaven?) verfertigt wurden, der auch an George Washingtons Mount Vernon gearbeitet hat. Da der Stuck bis auf einige Ausbesserungen durch die Nachbesitzer noch der ursprüngliche ist, darf nur das Erdgeschoss besichtigt werden. Das Haupthaus ist noch im Originalzustand, die beiden Seitengebäude wurde rekonstruiert. Eines davon enthält die Küche, im anderen waren wohl Waschküche und ähnliches untergebracht. Der Hausherr hat darauf bestanden, für Sklaven und sozial niedrigstehende Gäste extra Eingänge zu haben. Nur Besucher mit hohem sozialem Status durften durch den Haupteingang eintreten. Das war die umfangreichste Führung auf der kleinen Geschichtstour, ausnahmsweise nicht geschauspielert sondern von einer interessierten Freiwilligen gemacht. Auch das war sehr aufschlussreich und hat einen spannenden Einblick in das damalige Leben geboten.

Was wir bei der Fülle an Attraktionen leider nicht geschafft haben, war die Ferry Farm, wo George Washington aufgewachsen ist. Außerdem sind uns einige Stationen auf dem Spaziergang durch die Lappen gegangen, was aber wegen des einsetzenden Regens nicht so tragisch war.

Eigentlich versteht sich ja Neuengland als die Wiege der amerikanischen Zivilisation und Besiedlung. Obwohl ich da auch schon war, habe ich den Eindruck, dass doch eher Virginia diesen Titel für sich beanspruchen kann. Eventuell liegt es an der besseren Aufbereitung und den breitflächig vorhandenen Besichtigungsmöglichkeiten, die ich in Massachussets nicht gefunden habe. Vielleicht aber ist es tatsächlich so, dass sich in Virginia im Zuge der Kolonialisierung wesentlich mehr abgespielt hat, und die Mayflower einfach nur etwas zu weit nördlich an Land gedriftet ist. Wer sich dafür interessiert, was sich im 18. Jahrhundert in Amerika getan hat, der ist in Virginia sicher gut aufgehoben. Ich hatte auf alle Fälle auch dieses Mal wieder viel Spaß beim Entdecken und Erforschen.